Denn das Thema ist dringlich. Wie dringlich, skizzierte Dr. Martin Elsberger vom Bayerischen Wirtschaftsministerium, wo er die Task Force Netzausbau Bayern leitet: Wenn die Kernkraftwerke abgeschaltet werden, müsse Bayern 35 Prozent seines Stroms importieren, um den Bedarf zu decken. Die angenommenen 1,2 Gigawatt müssten jedoch nicht nur lieferbar sein, sondern auch zum gewünschten Zeitpunkt zur Verfügung stehen. Die Devise der Staatsregierung sei aber „So viel Ausbau wie nötig, so wenig wie möglich“.
Eine Herausforderung, die Erneuerbare Energien nur bedingt erfüllen können. Stichwort Dunkelflaute: Im Winter gibt es wenige Sonnenstunden, der Wind weht nur lau – gerade dann also, wenn in Bayern und Deutschland besonders viel Energie gebraucht wird. Zudem gelten Windkraft und Photovoltaik als hoch volatil, abhängig von Region und Wetterlaunen. Diese schwankenden Leistungen sicher in die Stromnetze zu integrieren wird zunehmend schwieriger, sagt Professor Dr. Matthias Luther, seit 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Elektrische Energiesysteme an der FAU Erlangen-Nürnberg. Schlimmer noch als die Integration bei hoher Auslastung sei für die Netze, wenn in Schwachlastzeiten der Wind stark bläst: An der Küste wird viel Strom erzeugt, anderswo aber wenig nachgefragt. In verschiedenen Projekten des Lehrstuhls wird erforscht, wie die Netze zukünftig optimal ausgelastet werden können und wie die dazu notwendigen Netzstrukturen gestaltet werden müssen. So ließe sich beispielsweise die Auslastung der Netze erhöhen, wenn der Netzbetrieb weiter und schneller automatisiert wird. „Es geht zukünftig nicht mehr darum, die Stromnetze oder den Verkehr für sich anzuschauen sondern wir müssen systemübergreifend denken und handeln.“ Wer weiß schon, was die Zukunft bringt? Professor Luther ist sich sicher. „Wir werden in Zukunft anders leben. Wir werden Strom aus Gebäuden und an Fassaden erzeugen. Der Offshore-Wind wird mit Sicherheit auch eine große Rolle spielen, aber ein viel größeres Potential steckt in der Solarenergie.“
So müssen sich die Übertragungsnetzbetreiber wie TenneT aus Bayreuth schon jetzt auf die ungewisse Zukunft vorbereiten. „Mit der Integration der Erneuerbaren Energien steigt der Übertragungsbedarf, wir brauchen mehr Netzausbau“, sagt Paul-Georg Garmer, der als Senior Manager Public Affairs für Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Unbedingt nötig sei der SuedOstLink von Nord nach Süd, den Ostbayernring wird TenneT bis 2023 durch Ersatzneubau ertüchtigen. Bis 2025 – ausgehend von einem Erneuerbaren-Energie-Anteil von etwa 45 Prozent – wären das 7200 Kilometer Leitung nur im Übertragungsnetz, bei weiter steigendem Anteil mehr. „Wir glauben, dass wir uns jetzt Gedanken machen müssen, um 2030 nicht mit Netzausbau antworten zu müssen. Deshalb hat TenneT beispielsweise schon den Netzstresstest initiiert, um zu schauen, was eine automatisierte Systemführung beitragen kann. Aktuell forscht das Unternehmen zusammen mit VW an der Erhebung lokaler Wetterdaten in Echtzeit(in Autos) – um so die Stromeinspeisung besser prognostizieren zu können. Auch die Blockchain, die beispielsweise lokale Batterien in Hausspeichern oder die E-Autoflotte von Tesla vernetzt, wird erprobt. „Wir sehen bis 2030 ein Speicherpotenzial zwischen 15 und 60 Gigawatt“, sagt Paul-Georg Garmer.
Ein Stichwort, das Professor Dr. Michael Sterner von der Ostbayerischen Technischen Hochschule in Regensburg wie gerufen kommt. In den vergangenen Jahren seien die Themen Verteilung und Speicherung vernachlässigt worden. In Baden-Württemberg etwa baut Max Bögl eine Windkraftanlage, die mit einem Pumpspeicher gekoppelt ist. Am leichtesten freilich ließe sich die Gas-Infrastruktur nutzen, auch wenn Power-to-Gas hohe Umwandlungsverluste habe.Für Nonsens hält Michael Sterner das Argument, dass das Speichern von Strom den Druck für den Ausbau der Netze nehme. „Wir brauchen wirklich alles. Ich bin froh über jeden Meter Leitung, der gebaut wird.“ Dabei plädiert der Professor vehement für den Ausbau der Erneuerbaren Energien – auch in ökonomischer Hinsicht. Er macht den Zuhörer den Mund wässerig: Bayern könnte Selbstversorger in Sachen Energie sein. Windkraft, Photovoltaik, Biogas – damit könne im Freistaat ein Vielfaches des benötigten Stroms erzeugt werden. Technisch sei das kein Problem. „Die Frage ist nur, ob das sozial und gesellschaftlich akzeptiert ist“, bilanziert er. „Strom muss aus den Erneuerbaren Energien kommen, sonst hat das keinen Sinn für den Klimaschutz, und einen Tod muss man sterben.“
Wie sich das anfühlt, hat die N-ERGIE, Nürnberg, mit ihrer Beteiligung am Gaskraftwerk Irsching schon durchlebt, das wenig ausgelastet und damit unrentabel ist. Für die N-Ergie war dies Motivation, den Ausbau der Übertragungsnetze unter die Lupe zu nehmen – nicht mit Technikern, sondern mit Volkswirten. Ergebnis: Der Ausbau kann, bei effizienter(er) Nutzung, deutlich kleiner ausfallen. „Wir sind seitdem die Spaßbremse im Konsens der deutschen Energiewirtschaft“, berichtet Strategiemanager Stefan Lochmüller. Überhaupt, sagt der Ingenieur, lande der meiste Druck aus Erneuerbaren Energien nicht im Übertragungsnetz, sondern gehe zunächst auf die Verteilernetze. Für den geplanten Zubau aus Windkraft und Photovoltaik brauche man „definitiv Speicher“. Die werden aktuell von Privat gebaut – jede zweite PV-anlage wird damit ausgerüstet. Volkswirtschaftlich sei das ineffizient, deshalb, so fordert Stefan Lochmüller, müsse heute die Diskussion über die künftige Richtung geführt und Entscheidungen vorbereitet werden.
Für die notwendige Transparenz und die Information der Öffentlichkeit streitet auch Germanwatch e. V. Die zivilgesellschaftliche Organisation engagiert sich unter anderem in der Energiewende und bei den Netzstrukturen, ihr Vertreter Hendrik Zimmermann steht außer Frage, dass das deutsche Stromnetz auch ohne Energiewende erneuerungsbedürftig ist. Aber sollen die Szenarien über den künftigen Bedarf und Ausbau der Netze wirklich von den Netzbetreibern erstellt werden? Gilt nicht der Betrieb konventioneller Kraftwerke als zu rentabel? Als Stachel im Fleisch von Politik und Gesetzgebern fordert Germanwatch zudem, den Netzentwicklungsplan transparenter zu machen und die Entgeltregulierung zu überprüfen.